Am nächsten Morgen um 18 Uhr erwachte geschah etwas Unerwartetes: Dingsbums war noch am Leben! Sie lag nicht blutverschmiert neben mir, sie hatte sich also nicht die Pulsadern geöffnet, ihr Gesicht sah trotzdem friedlich aus und ich atmete erleichtert auf und ab.

Als sie erwachte und mich ansah, gähnte sie wie erwartet: „UUUUUHHHÄÄÄÄÄÄHHH!“ Dann streckte sie sich und versuchte zu lächeln. Ein ungewöhnlicher Anblick!

Und ich war sofort hypnotisiert! Eine völlig überraschende Trance ergriff mich, die wohl nicht ausschließlich dem Lächeln von Dingsbums geschuldet war, sondern wahrscheinlich vielmehr der Vorstellungsblase die mein Troll noch über meine Seele hielt. Die Glasgestalt tauchte wieder auf und ich verlor mich in der Zeit... Allerlei Phantasiefiguren erschienen – dann tauchte „Unsere Eilichkeit“ auf. Sie sprach mich von der Seite an: „Wo wolltest du denn hin?“ Ich wusste nicht ob ich wachte oder träumte, also war ich sehr vorsichtig. „Keine Ahnung“ sagte ich freundlich und die gute Dingsbums, die ja noch, wie stets, in der Realität ihrer eintönigen Alltagsvorstellungen verblieben war, dachte ich hätte ihr – von ihr als aufreizend gedachtes – Gähnen falsch interpretiert. Sie schüttelte nur den Kopf!

Unsere Eilichkeit aber redete indessen unbeirrt weiter: „Wir sitzen hier zur Rechten Lottes, der Königin aller Scheinriesen und ich kann dir fürsprechen wenn du das willst!“

Die Trance verzerrte das Erscheinungsbild ihrer Eilichkeit dermaßen, daß ich nun leider keine Göttin vor mir sitzen und sprechen sah, sondern einen uralten Nichtmann mit gespielt devotem Gesichtsausdruck. Ich begann zu zittern, aber mein Troll hielt mich fest und zog meine Augenlider hoch, damit ich auch sah was es zu sehen gab: Das unverfälschte Persönlichkeitsbild von Dingsbums. Ihre Eilichkeit war nur eine bildliche Metapher gewesen.

Ich begann innerlich zu schreien! Was für ein Alptraum?! In dieser Minute klingelte es an der Wohnungstüre... Hatte ich eine Verabredung vergessen?
Draußen stand Morry, eine Verflossene meines intelligenten Cousins Paule, Dr. Paule wohlgemerkt. Das hatte ich völlig verschwitzt! Ich hatte ihr versprochen heute am späten Nachmittag im Stadtatelier Karten zu legen.
Nachdem sie mich dort aber nicht angetroffen hatte und ich offensichtlich auch nicht ans Telefon ging war sie einfach hierher gekommen.

Mein Troll hatte damit angegeben und nun erkannte ich die Bescherung! Aber warum war es Nachmittag? Das konnte doch nicht sein. War ich nicht grade erst aufgewacht? Ich ging mit Morry in die Küche und sah dort einen Zettel von Dingsbums auf der Anrichte liegen, die ich vor ein paar Minuten noch im Bett liegend gesehen haben wollte.

Darauf stand: „Bin heute mit Schorschel unterwegs, warte nicht auf mich – es kann sehr spät werden. Darum hatte ich mich also mit Morry verabredet, um nicht alleine zu sein?! Die Ereignisse überschlugen sich. Noch nicht völlig wach sollte ich mich auf die Karten konzentrieren? Ein Ding der Unmöglichkeit! Ich beschloss Morry, die Verflossene, bevor ich etwas für sie zu tun gedachte, zu demütigen. Würde mich das aufbauen?

Ich nahm die Karten und warf sie auf den Boden vor ihre Füße! Sie hob sie brav auf, ich lächelte wie nur ein Troll lächeln kann, dann mischte ich sie, ließ sie abheben und ich versuchte meine Gefühle zu mobilisieren.
Sofort kamen unglaubliche Konstellationen zum Vorschein! In meinem nun doch wieder auflebenden Delirium erkannte ich Teufel, Tode und Dämonen, den Gehenkten, den Stern, den einstürzenden Turm und die Liebenden...

„Du bist verliebt, stimmts?“ krächzte ich abwesend, stark darauf hoffend, daß nicht ich das Objekt ihrer Begierde war. Ich musste aufpassen, denn bei Morry handelte es sich um eine Psychologin, die jeden Tag mindestens so Verrückte wie mich zu behandeln hatte. Außerdem hielt ich sie für raffiniert. Daß sie esoterisch angehaucht war und selbst einen an der „Waffel“ hatte wusste ich nicht. Aber ich wurde umgehend aufgeklärt.

„Weiß du, Paule ist die Liebe meines Lebens, aber nicht nur dieses Lebens, denn ich bin ihm, in meinem vorigen Leben schon einmal begegnet. Damals trieb er sich, als Jongleur und Gaukler in meinem damaligen Heimatort an der Ostsee herum.
Er hat mich sofort verzaubert, war aber ein Zig... (Ausdruck verboten) und er hat mich auf den ersten Blick in sich verliebt gemacht. Dann war er plötzlich wieder weg, ohne mich mitzunehmen und ich hatte die üble Nachrede der alten Weiber aus dem Ort am Hals. Bald sagte man mir nach eine Hexe zu sein, die nachts nackt auf ihrem Besen über die Dächer reitet.

Meine Eltern machten sich große Sorgen um mich und deshalb redeten sie mit dem Pfarrer, der damals noch katholisch war, denn man schrieb das Jahr 1375. Der aber witterte Morgenluft und alarmierte die Inquisition!
Ich wurde vorgeladen und einem „hochnotpeinlichen“ Verhör unterzogen, bei dem ich mich ausziehen musste und gefoltert wurde.
Nicht nur der Pfarrer und ein paar Folterknechte, sondern natürlich auch der Inquisitor haben sich vor meiner Peinigung an mir vergangen!“
Damals muss ich dann, als ich gestand und widerrief und gestand und widerrief, relativ 'unerwartet' verstorben sein, ohne den ehrenwerten Herren des hohen Gerichts weitere Lustbarkeiten geboten zu haben.
Ich weiß das alles aus einer Rückführungssitzung bei einer Kollegin von mir“.

„Und nun?“ fragte ich fassungslos, denn mir war gerade ein wenig schlecht geworden. Ich fühlte wie mein Troll in mir seinen imaginären Kopf schüttelte und begann nach Auswegen zu suchen.

„Kannst du etwas tun, damit Paule wieder zu mir zurückkommt, mein Zig... (verbotene Bezeichnung) aus der Vergangenheit, damit er mich zur Belohnung diesmal lieben und achten kann bis daß der Tod uns scheidet?“ sagte sie – und mein Troll fügte hinzu: „Oder möchtest du seine Stelle einnehmen und mich an seiner Stelle unter deine Fittiche nehmen?“

Ich fragte mich und den Troll, was das wohl für Fittiche sein könnten, denn ich hatte weder die Mittel, noch die Lust, mich an einer als frigide verschrienen Nichthexe vergreifen zu wollen. Dabei leitete ich sozusagen meine private und neuzeitliche Inquisition gegen die arme Morry ein, die wieder einmal nicht an ihrem Unglück schuld zu sein schien.

Kalt vor mich hin überlegend kam ich zu dem Schluss Morrys geheimes Wissen um ihre sexuelle Unzulänglichkeit, die anscheinend künstlich etwas durch ihre romantischen Phantasien aufgepeppt worden waren, habe ihr die Szenen ihres Todes im früheren Leben eingehext.
Deshalb beschloss ich sie auch in diesem Leben (imaginär) zu verbrennen.
Ich hatte genug Verrückte um mich, wobei ich mir auch selber höchst bedenklich vorkam, so, daß ich es mir vermutlich nicht mehr leisten konnte als verarmter Aliendiener eine machtlose Hexe ins Herz zu schließen.

Mein Troll riet mir, mich von sichtlich besessenen intellektuellen Frauen fernzuhalten und so zog ich mich vorsichtig aus der Affaire, indem ich sie um einen kleinen „Liebesdienst“ bat. Sie tat kurioserweise wonach ich verlangte (es handelte sich um keinen Vollzug) und ich konnte zweifelsfrei feststellen wie emotionslos sie bei der „Sache“ war. Sie selbst wollte jedoch nicht angegangen werden...
Das vertiefte unsere, von ihr vermutlich erwünschte, Beziehung nicht grade, wogegen von meiner Seite aus nichts weiter einzuwenden war – also küsste ich sie noch kurz oberflächlich, bevor wir an diesem Tag auseinandergingen. Denn der Abend kam und sie musste schlafen gehen, damit sie anderntags wieder für Patienten fit sei.
Nicht eingestehen wollte ich mir – daß sie weiter „am Ball“ bleiben sollte.

Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman)  29

© Alf Glocker


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Kommentare zu "Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman)  29"

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman)  29

Autor: Sonja Soller   Datum: 23.09.2022 17:00 Uhr

Kommentar: Realität und Phantasie gekonnt miteinander verwoben.

Aber noch immer würde ich mit dem Troll nicht tauschen wollen, zu kompliziert, zu aufregend so ein Trollleben.
Doch sehr gut in Szene gesetzt!!

Herzliche Grüße aus dem trolligen Norden, Sonja

Re: Mein Leben als Troll (surrealistischer Zeitroman)  29

Autor: Alf Glocker   Datum: 24.09.2022 14:25 Uhr

Kommentar: Ich danke dir
aus dem trolligen Süden,
Alf

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